Das Dritte Werden
von Paul Trog
Alles fällt, alles zerfällt, alles entfällt!
Alles stürzt in den Tod.
Nur ein Lebenshauch verbindet das Weltgefüge, das den Menschen zugeteilt worden
war, in ein ordentliches Ganzes zusammen, vom unendlich Kleinen bis zum endlos Grossen.
Mittel- und Angelpunkt jeder Bewegung ist das Fallen, und im Fallen entstehen Reibung,
Licht, Energie, Anziehungskraft, Triebkraft und eine wachsende Beschleunigung im
Zeitgefüge. Jede Dynamik, jede Motivation ist daher vom Endpunkt des Lebens, von
der Schwerkraft des Todes abhängig! Also Halt und Zusammenhalt wird den Dingen in
ihren Verflechtungen eher von unten als von oben her gegeben.
Als die ewige Dimension den Menschen entzogen wurde und deren Lebensblut in der
Folge versiegte, stürzte die Menschheit in ein zweites Werden: Das Werden des Todes,
dessen Sog unerbittlich zur Vernichtung führt und darin endet. Eine sterbende Menschheit
also, auf einem sterbenden Planet in einem sterbenden All.
Verursacht wurde dieser Sachverhalt durch ein Kardinalvergehen, das Adam und anschließend
die Menschheit zum Stürzen brachte: Ein eigenwilliges Schicksal und folglich ein
anderes Werden für den menschlichen Schöpfungsabschnitt der Genese: Adams Entschluss,
eigenständig Gott zu werden, hatte als unmittelbare Folge, dass ihm der Zufluss
der ewigen Substanz, dem göttlichen Lebensblut, entzogen wurde. Und der Mensch,
als fester Mittelpunkt, Achse und Spitze eines Urschöpfungsteiles, dessen Entwicklungsvorstoß
im All von Gott abhing, riss alles, was ihm zu- und untergeordnet war, mit sich
im Sturz hinab... Denn der Mensch wurde nicht Gott.
Der aus Gottes Schoss entstandene Weltstoff, aus dem seine Hände Adams Gestalt schuf,
erstarrte und die göttliche Umfassung entschwand. Im menschlichen Wesenskern jedoch
blieb in Samenform der göttliche Ursprung erhalten und verankert. In diesem Kern
verborgen befindet sich die Entfaltungsmöglichkeit, die Dynamik und das Geleit zurück
nach oben, zur Urschöpfung. Eine Rückkehr hinein in den ewigen Fortschritt Gottes
ist also immer noch möglich. Die Sehnsucht zu erwecken, ein Bewusstsein durch gezieltes
Auf- und Hinhören zu entdecken - das Bestreben, dieses kostbare Samenkorn zu finden
und dessen göttliche Befruchtung zu erflehen, ist die wichtigste Lebensaufgabe für
den Menschen überhaupt. Die Vorstellungsgabe anzustreben, dass nämlich eine Welt
außerhalb des menschlichen Verstehens existiert, dass diese aber auch im Innersten
der Welt, im Menschen also, zutiefst verborgen in seinem Wesen liegt und zum Reich
Gottes zurückführen kann, ist lebenswichtig.
Zu diesem Thema gibt es eine interessante äußerung, anscheinend aus der Sicht des
Luzifer. In einer frechen Geneseverdrehung brachte im neunzehnten Jahrhundert Helena
Petrovna Blavatsky (1821-91), im zweiten Band der 'Geheimlehre', Folgendes zum Ausdruck:
"Natürlich ist es in dieser Hinsicht...Satan, die Schlange der Genese, als den wirklichen
Schöpfer und Wohltäter zu betrachten, den Vater der geistigen Menschheit. Weil er
der 'Vorbote des Lichtes' war, ein glänzender, strahlender Luzifer, der die Augen
des scheinbar von Jehova geschaffenen Werkes öffnete; und er war es, der zuerst
flüsterte: 'Am Tag, an dem du davon isst, wirst du wie Elohim sein, wissend, was
Gut und Böse ist' - nur er kann deshalb in diesem Licht als Retter bezeichnet werden.
Und jetzt ist es bewiesen, dass Satan oder der rot flammende Drache, die 'Tragende
Hoheit' und Luzifer oder 'Lichtträger' in uns wohnt: Unser Verstand ist es, unser
Versucher und Erlöser, unser intelligenter Befreier und Retter vom rein Animalischen.
Ohne diesen Grundsatz...wären wir bestimmt nicht besser als Tiere." (H.P.Blavatsky,
The Secret Doctrine, Volume II, Theosophical University Press, 1888, Seite 513).
Diese absurde Lüge und verheerende Gotteslästerung muss überdacht werden. Abgejagt
hatte Luzifer der Menschheit ihre gottgewollte Herrschaft über das Universum; diese
übernahm dann er und wurde so zum Prinzen der Welt. Sein Bestreben seither ist es,
eine leblose, nur auf den Verstand beruhende Ersatzschöpfung zu fabrizieren, die
seinem Willen und seinen Zielen dient. Leblos und haltlos fallend deshalb, denn
aus Satan kann ja kein Leben fließen. In ihm ist der Tod.
Nur aus Christus fließt das Leben!
Im Tod endet die Zeit auch für die Welt und deshalb ist das Böse unter Zeitdruck,
seine gesetzten Ziele zu verwirklichen.
Zum Beispiel umfasst die leblose Künstliche Intelligenz (artificial intelligence)
bereits eine Unmenge von Fertigungsvorgängen in der Weltindustrie. Schon in den
Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts wurden in Japan Roboter in Anlagen hergestellt,
in denen die Produktion ausschließlich durch Roboter erfolgte. Roboter produzieren
so Roboter Tag für Tag.
In welchem Ausmaß der Mensch bereits durch die Künstliche Intelligenz eingekesselt
ist, ist schwer zu sagen. Auf jeden Fall leben junge Menschen zunehmend unter einer
Computerglocke, die unweigerlich die Auffassung von der Realität verändert und bereits
fast alles überwacht und vieles steuert. Bildlich gesehen ein Auge, das über eine
Pyramide wacht.
Jene Zweckentwendung Luzifers umfasst im Grundsatz alles Menschliche. Wenn der Dieb
Satan sich daher als 'unser intelligenter Befreier und Retter vom rein Animalischen'
beschreiben lässt, so möchte er scheinbar auch eine Art leblose, vom Verstand gesteuerte,
moralische Ordnung in dieser Welt etablieren, um die Quelle seiner Macht, die Menschheit
also, von einer unnötigen Selbstzerstörung abzubringen.
Ein rein moralischer Versuch, die Menschheit auf eine höhere Verstandesebene zu
bringen, um sie vom rein Animalischen zu befreien, könnte somit ein Bestreben sein,
das nicht unbedingt gegen den satanischen Willen verstößt. Die an das Tierische
festgebundene Spreu wird ja auch von ihm weggefegt. Intelligente, von einem gefühllosen
und hemmungslosen Verstand erfasste Menschen sollen entstehen: Schlau, erbarmungslos,
selbstsüchtig, vom Gewissen befreit, verführerisch, so wie Luzifer selbst.
Aus Satans Sicht gefährlich ist das Kreative im Menschen: Es muss zu Stein werden.
Eine fortschreitende Erstarrung erfasst ja tatsächlich jeden Tag mehr und dringt
immer tiefer, bis der schöpferische Ursprung im Göttlichen Samen erreicht wird,
um diesen wenn möglich im Kern zu vernichten.
Zweckgebunden ist jedes humanitäre, moralische, Mensch und Völker versöhnende Vorhaben
immer. Ist dessen bewusstes Ziel, Gottes Willen auf Erden zu verwirklichen, oder
dient dieses einem Versöhnungsplan im Zweiten Werden? Das ist entscheidend.
Im ersten Fall öffnet sich der Weg zu einem Dritten Werden: eine Renaissance, die
zur eigentlichen Bestimmung Gottes für die Menschheit im ewigen Gefüge seiner Schöpfung
führt. Dieser Weg geht aber unweigerlich auf den göttlichen Samen im Wesenskern
zu, dessen Befruchtung dann durch das ewige Lebensblut Christi erfolgen muss. Dieses
floss ja am Kreuz für alle Menschen! Christus ist im Ursprung die Lebensquelle,
der Eingang zurück zum göttlichen Schicksal.
Satans Bestreben ist, jede von Gott gegebene Individualität im Mensch zu knebeln,
um diese dann im Tod endgültig zu vernichten. Die Selbstverwirklichung in Christus
bedeutet dagegen die Erfüllung der Person in Gott.
Fallend und meist unbewusst, suchen die Menschen Ihn, um sich dann in einem Dritten
Werden wieder finden zu können.
Paul J. Trog
Innsbruck
31. 10. 07