Das Herz Und Der Übermensch
von Paul Trog
Sie taten was sie nicht wussten, weil sie nicht wussten, wer sie waren und so wurden
sie, was sie sind. P.T. 2008
Das Erwachen des Ichbewusstseins in der Renaissance bewirkte ein Aufblühen
der schöpferischen Logik und der sachlichen Verstandesnutzung. Die ernsthaften
Versuche, sich vom Aberglauben und von den Mythen loszulösen, um konkret und
sachlich der Wissenschaft und den Künsten nachzugehen, wurden immer stärker.
Die Schönheit der Natur, des menschlichen Körpers und der ästhetischen
Formen wurden durch eine gewaltige Sinnesbelebung im damaligen Ichbewusstsein völlig
neu, ständig lebendiger, und deshalb in einem anderen Licht gesehen und wiedergegeben.
Das Einrasten dieses umfassenden Erweckens hatte tiefgreifende und breitgefächerte
Folgen. Es entwickelte sich ein neues Verständnis für das Umfeld des Menschen,
das sowohl die Person, die Werte, das Wissen, die Religion, als auch die Gesellschaftsstruktur
grundsätzlich und auf allen Ebenen veränderte.
Der Verstand und die Vernunft siegten und lösten eine gewaltige Entdeckungslawine
aus, deren Folgen das heutige Geschehen immer noch, und tiefgreifender denn je,
bestimmen.
Das Bewusstsein wurde im Ich verankert und vorwiegend durch den Verstand gesteuert.
Das tief sinnende, kreative Innere des intuitiven Denkapparates, ein wesentlicher
Bestandteil unseres mehrdimensionalen Wesens - jeder Körper, wie überhaupt
jeder Raum ist dreidimensional -, das uns mit Seele und Geist verbindet, wurde durch
die Verstandesdimension progressiv verdrängt. Es erfolgte eine Verzerrung,
ja Verflachung des Verstehens, was die Schattenseiten des menschlichen Inneren förderte
und durch das wissentliche Ausschalten des Gegengewichtes der Dimension der Tiefe,
die die Weisheit des Herzens umfasst und uns mit dem allmächtigen Gott verbinden
kann, wurden Katastrophen, Kriege, Revolutionen und ein menschliches Verhalten,
das nicht einmal im Tierreich aufzufinden ist, verursacht.
Je mehr der ewige Gott verneint und verdrängt wurde, desto mächtiger kam
erstaunlicherweise das Esoterische, der Aberglaube, ja das Satanische in den Vordergrund.
Blaise Pascal, der Mathematiker und Philosoph (1623-1662), sagte Folgendes: "Le
coeur a ses raisons que la raison ne connait pas." (Das Herz hat seine Wissensgründe,
welche die Vernunft nicht kennt). Dabei sprach er nicht von Sentimentalität
oder Erosgefühlen, sondern von der Mitte und Tiefe des Denkens, die die Seele
und den Geist beleben und mit dem ewig Göttlichen verbinden. Jean de Lafontaine
hingegen, (1621-1695, ein bekannter französischer Fabeldichter), schrieb: "La
raison du plus fort est toujours la meilleure." (Die Grundüberlegungen des
Stärkeren sind immer die tragenden, die besseren). Das sind zwei völlig
verschiedene Auffassungen, zwei Gegenpole aus etwa der gleichen Zeit; zwei fundamentale
Anschauungen, die motivierten und unterschiedliche Evolutionswege vorbestimmten.
Als berühmter Historiker und international anerkannte Autorität auf dem
Gebiet der Renaissance war Jakob Burckhardt an der Basler Universität Ende
des 19. Jahrhunderts tätig. Sein umfassendes philosophisches, historisches
und philologisches Wissen ermöglichte ihm, ein tiefes und seither unübertroffenes
Verstehen des Phänomens des Zeitalters der Renaissance zu erlangen, das er
in seinen Vorlesungen und in seinen Schriften weitergab. Er verbündete sich
freundschaftlich mit einem anderen, nicht weniger berühmten Kollegen der Universität
Basel, Friedrich Nietzsche, der im Frühjahr 1869 als Professor der Klassischen
Philologie dorthin berufen wurde und dort ganze zehn Jahre tätig war. In einer
biographischen Skizze wird diese Freundschaft wie folgt beschrieben (zitiert nach
Hans Trog, Jakob Burckhardt - Eine biographische Skizze, Basel 1898, Seite 137):
"Nietzsche hat, wie seine Schwester, Frau Förster, in der schönen Biographie
ihres Bruders erzählt, dem Verkehr mit diesem ausgezeichneten Gelehrten und
dessen überaus feinem und künstlerischem Geist immer den höchsten
Wert beigelegt."
Wie nahe sich die beiden Männer traten, zeigt die so ganz und gar nicht nach
Professorenfeierlichkeit riechende Szene der 'Dämonenweihe', die Frau Förster
uns erzählt: Wie Nietzsche und Burckhardt in des letzteren Zimmer ans Fenster
treten und zwei große Gläser Rotwein auf die Strasse gießen als Spende
für die Dämonen der Freundschaft. Burckhardt schätzte Nietzsches
Lehrkraft aufs höchste: "...feinsinnig versenkte er sich in Nietzsches Schriften
und hielt mit seiner Anerkennung, ja Bewunderung nicht hinter dem Berge". "DIE VERMEHRUNG
DER UNABHAENGIGKEIT IN DER WELT" (Cap. von P.T) schrieb Burckhardt der Schrift 'Menschliches,
Allzumenschliches' als Wirkung zu; und in einem Dankbrief für den Anhang zu
dem genannten Buche 'Vermischte Meinungen und Sprüche' vom 5. April 1879 (in
der Biographie 2. Band, 1. Halbband S.321) heißt es u.a.: "In den Tempel des
eigentlichen Denkens bin ich bekanntlich nie eingedrungen, sondern habe mich zeitlebens
in Hof und Hallen des Peribolos ergötzt, wo das bildliche im weitesten Sinne
des Wortes regiert. Und nun ist in Ihrem Buche gerade auch für so nachlässige
Pilger, wie ich bin, nach allen Seiten hin auf das reichlichste gesorgt. Wo ich
aber nicht mitkommen kann, sehe ich mit einer Mischung von Furcht und Vergnügen
zu, wie sicher Sie auf den schwindelnden Felsgräten herumwandeln, und suche
mir ein Bild zu machen, was Sie in der Tiefe und Weite sehen müssen. Wie käme
es auch Larochefoucauld, La Bruyère und Vauvenargues vor, wenn sie im Hades Ihr
Buch zu lesen bekämen? Und was würde der alte Montaigne sagen? Einstweilen
weiß ich eine Anzahl von Sprüchen, um welche zum Beispiel Larochefoucauld
Sie ernstlich beneiden würde."
Was diese "Vermehrung der Unabhängigkeit in der Welt" (gemeint ist da wohl
Eine Unabhängigkeit vom verneinten, für tot erklärten ewigen Gott)
der Menschheit, der abendländischen Kultur und Zivilisation sowie dem Wesen
der Person schlechthin antut und angetan hat, ist im letzten Jahrhundert vernichtend
klar geworden. Der Übermensch wurde Wirklichkeit! Begriffe wie "Herrenmoral",
"der Wille zur Macht" usw. ebneten diesem den Weg; katastrophale Auswirkungen mit
Millionen von Toten waren bekanntlich das Ergebnis.
Das Gott verneinende Denken, ersetzt durch Esoterik, u.a. den Wahrsagungen von Nostradamus,
die zu vielen Entscheidungen in der Kriegsführung Hitlers beitrugen, den Schriften
von Mme. Maria Blavatsky, aus denen Hitler allabendlich zu lesen pflegte, usw.,
trugen im letzen Jahrhundert ihre tödlichen Früchte.
Jeder der im obigen Dankesbrief von Burckhardt genannten Denker und Philosophen
hat auf seine Art zu "Nietzsches Übermenschkatastrophe" beigetragen. Die "Umwertung
der Werte", die die sokratische und christliche Barmherzigkeit ausschaltet und diese
als "Sklavenmoral" bezeichnet, wurde durch die "Herrenmoral" (Stärke, Gewalt,
Willkür) ersetzt. Dies öffnete damals, und heute wieder, dem Ekel Tür
und Tor: dem stets bedrohlichen Übermensch. Heute kommt er uns entgegen als
der von Goethe bereits beschriebene Menschenzüchter Wagner ("Den Menschenstoff
gemächlich komponieren, in einen Kolben verlutieren und ihn gehörig kohobieren")
- nunmehr verkörpert durch die Biotech-Pioniere, den Erzeugern der Nanomaschinen,
die das Alter abschaffen wollen, und gegenwärtig zur Erschaffung des eigentlichen
Übermenschen hinarbeiten, der Artificial Intelligence (AI), der künstlichen
Intelligenz, die dem Übermenschen totale Macht und Gewalt über das Geschehen
überhaupt geben könnte.
Der US Genforscher Craig Venter sagte in einem kürzlich erschienenen Interview
("Profil" vom 10. Dezember 2007, Seite 102): "Wir stellen nicht von Grund auf neues
Leben her. Wir designen neue Lebensformen. Das ist ein wichtiger Unterschied. Wir
kreieren ein Betriebssystem, einen neuen genetischen Code, dabei nützen wir
als Ausgangspunkt lebende Zellen, die wir modifizieren."
Und Venters Verlobte und Pressesprecherin Heather Kowalski meldete sich kürzlich
wie folgt zu Wort: Man habe noch kein synthetisches Leben geschaffen. "Wenn es dazu
kommt, werden wir erst eine wissenschaftliche Publikation vorlegen. Davon sind wir
wahrscheinlich noch Monate entfernt." Venter hat bereits sein persönliches
Genom aufgeschlüsselt und publiziert, das er als erstes überhaupt in der
Welt dekodieren konnte.
Es wird also ernsthaft mit der Grundsubstanz der Menschheit experimentiert und gepfuscht,
ohne Bedenken, dass damit die göttliche Hoheit angegriffen wird, und dass von
Menschen, die respektlos mit der Natur umgehen, die Konsequenzen gar nicht abgesehen
werden können. Daher sollte auf die ichbezogene Renaissance des Verstandes
und der Logik eine gottbezogene Wiedergeburt durch das Herz, vom tief sinnenden,
kreativen, intuitiven Denkapparat getragen, erfolgen. Diese Wiedergeburt, umfasst
von der göttlicher Gnade, die der Menschheit durch das Blut und das Wasser
zuteil wurde, das am Kreuz aus den Wunden des sterbenden Christus floss, ist die
rettende Lebenssubstanz, die wir jetzt, dringender denn je, benötigen. Dieses
Denken, das das menschliche Wesen in seiner Ganzheit umfassen und den Kopf mit dem
Herz wieder vereinen muss, wird die wahre, schöpferische Eigenschaft im zersplitterten
Menschen fördern und ihm die volle übersicht über das Ganze wieder
geben.
L'audace, toujour l'audace!